Langstreckentest der Yamaha Fazer 600(50000 km)

Fazer. Ist das nicht die Pistole von Captain Kirk? Sie wissen schon: Enterprise und so.

Aber wie kommt ein Motorrad zu diesen Namen? Egal. Als Waffe im Preiskampf kann man sie schon bezeichnen. Für Sonderangebotsverdächtige 12 390 Mark stand mit der Fazer ab Frühjahr 1998 ein gleichermaßen attraktives wie bodenständiges Motorrad in den Schaufenstern der Yamaha-Händler und kurze Zeit später auch im Motorrad-Testfuhrpark.

Die 600er entpuppt sich sofort als Alleskönner und Redaktionsliebling. Bremsen mit dem Biss eines Schraubstocks und ein energischer Vorschub jenseits von 6500 U/min. Sie verlangt nach Kurven wie die Suppe nach dem Salz und verströmt eine ungeheure Dynamik. Fast jeder kommt auf Anhieb mit ihr zurecht. Vielleicht sogar zu schnell, wie ein Mitarbeiter der Redaktion am eigenen Leib zu spüren bekommt. Bei Kilometerstand 11950 geht ihm in einer Kurve der Asphalt aus. Die Bodenturn-Übungen die Fazer enden mit einen Totalschaden, die eingehenden Beratungen der Test-Crew mit dem Kauf einer neuen. Fast 12 000 Kilometer. Und alle umsonst. Am 12.August 19998 heißt es: Fazer, Klappe die Zweite.

Redakteur Fred Siemer nimmt die Kleine auf Einfahr-Tour mit nach Italien und bemängelt die bescheiden Sicht in den Spiegeln sowie die Sitzposition: hart und wenig ergonomisch. Zumindest für einen 1,85-Meter-Tourenfahrer. Werner Koch, Test-Urgestein der Redaktion,

diagnostiziert dem Zweirad-Schnäppchen eine schlabberige Lenkung. Kollege Jürgen Schmitz fügt hinzu: “Naja, für das Geld!“

Nach dem Motto „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“ kämpft Mitarbeiter Peter Batmann

Gemeinsam mit der Fazer Ende September auf 2460 Höhenmeter gegen die Kälte und – verliert. Sturz, Verkleidung lädiert. Ein Haarriss, der ab sofort für irritierende Geräusche sorgt. Doch alle lieben sie ungebrochen weiter. Dieser Mix aus Power, Dynamik und spielerischen Handling ist nicht zu toppen. Bei Kilometerstand 6320 bekommt sie zur Belohnung ein Koffersystem von Givi spendiert.

Wieder ist es Fred Siemer, der die Neuerrungenschaft austestet:“ Koffer viel zu hoch angebracht, dadurch wirkt die Fuhre kipplig, und das Handling verschlechtert sich“, lautet sein Fazit im Fahrtenbuch.  Der Winter rückt näher, schließlich ist er ganz da. Einen Tag vor Sylvester 1998 rüttelt Markus Wölfel - Onliner sind hart – vergebens am Tankdeckel. Eingefroren. Doch der Raucher weiß Rat, fummelt mit Feuerzeug-Flamme und heißem Schlüssel den Verschluss auf – Fazer Nummer drei...      Sorry, kleiner Scherz.

Die letzten 800 Kilometer bis zur 10 000er- Marke wird die Fazer „Motorrad“ nie verzeihen.

Service-Langbein Holger Hertneck schnappt sie sich für eine Schwarzwald-Tour. Tatzeit: 29.Januar 1999, 4:45 Uhr morgens. Tatort Neckarburg. Zehn Grad minus, Schneetreiben, Glatteis. Alles halb so schlimm für Profi Hertneck. Er bemängelt den montierten Dunlop D 207: „Bei Eis und Schnee eine Katastrophe. Der dreht schon im Schritttempo durch.“ Ein Umfaller auf einer Eisplatte verhilft der eh schon eingerissenen Verkleidung zu ihrer Entsorgung. Ohne die Hertneck’sche Wintertests in Frage stellen zu wollen, ist der D 207 für den Rest des Langstreckentestes jedoch immer die erste Wahl. Mit dem alternativ montierten Bridgestone BT57 wirkt die Fazer kipplig, unausgewogen und hat weniger Grip in den Kurven. Mangelnder Grip überrascht ACTION TEAM-Tourguide Daniel Lengwenus bei Kilometerstand 10246 auf der A99. Plattfuß. Ein riesiger Schraubenkopf bohrt sich durch die Reifendecke, Dani sich fast in die Leitplanke. Der Schreck sitz tief, und die Fazer darf sich erholen. Schwäbische Alp, Schwarzwald, Ulm, Regensburg. Geruhsame Wochenendtouren spulen den Tacho auf 15 000 vor.

Magazin-Redakteurin Berit Horenburg sorgt für einen außerplanmäßigen Reifenwechsel:

Während der Begleitung einer Politikerausfahrt versucht sie auf 1800 Kilometern zwischen Koblenz, Bonn und Jena vergeblich in Schräglagen zu kommen, und fährt den Reifen eckig.

Endlich wieder Sommer. Die Fazer ist urlaubsreif. ACTION TEAM-„Boss“ Monika Eberle auch. Sie entführt die Yamaha nach Italien, macht den Apennin unsicher und schwärmt über Bremsen, Handling und enorme Schräglagenfreiheit. Klarer Fall: Sie hat sich verliebt. „Wenn da nur nicht die viel zu hoch angebrachten Beifahrer-Fußrasten wären.“ Kaum daheim, schnappt sich Testmitarbeiter Christian Vetter das goldene Kind und bricht mit Sozia und viel Gepäck wieder auf nach Italien. Seine Notiz bei Halbzeit-Stand regt zum Nachdenken an:

„Es geht doch mit Sozia. Man muss nur die richtige haben“. Die Richtige? Natürlich wurde da nachgefragt: 1,56 Meter groß, 48 Kilogramm schwer, Hobby: Kunstturnen.

Testmitarbeiter Gerry Wagner, passionierter und leidensfähiger Rennfahrer, powert die Fazer anschließend durch alpine Kehren und resümiert: „Sitzposition für 1,92 Meter noch gut, Fahrwerk bietet viel Komfort, ist aber in schnellen Passagen überfordert, schwimmt mit Koffern durch die Kehren wie zu guten, alten GSX-R-Zeiten. Bis auf den Popo alles in Ordnung.“ Gerry kauft sich Wundsalbe und übergibt den „schwungmassenlosen Hobel“, Zitat von Zweizylinder- Fan und geschäftsführenden Redakteur Humke, an Service- Haudegen Peter Limmert. Dieser ist überrascht vom drehfreudigen 600-cm³-Four und erlebt im Alter von 62 noch ungeahnte Höhenflüge in Form von ungewollten Wheelies. Dennoch läuft auf 5000 italienischen Kilometern alles wie geschmiert. Vor allen bei der Sozia. Der probeweise montierte Scott-Oiler verteilt den Schmierstoff weniger auf die Antriebskette, als auf ihrer Wade.

35 000 Kilometer in einem Jahr. Puh! Das verursacht bei vielen Schädelbrummen. Auch bei der Fazer. Kollege Vetter bemerkt ein Tickern aus ihren Kopfbereich, überprüft deshalb den Steuerkettenspanner. Bingo. Lustlos hatte er sich in einer Rasterung bequem gemacht und war mehr schlecht als recht seiner Aufgabe nachgekommen. Nach einen kleinen Eingriff herrschte wieder Ruhe. Vom metallischen Klacken im Getriebe mal zu schweigen. Bei der Fazer war Schalten vom ersten Tag an kein Geheimnis.

Der Herbst schleicht dahin, und mit ihm der ein oder andere Kilometer. Thomas Rothmund, freier Mitarbeiter, trotz den widrigen Winden und chauffiert die FZS – na, wohin wohl? nach Italien und lobt den geringen Durst der Yamaha: 4,9 Liter pro 100 seiner Tourenkilometer.

Davon kann Stefan Kaschel, Testredakteur und Speedfreak, nur träumen. Als würden die vermissten PS einholbar vor ihm fahren, scheucht er auf Autobahnetappen fast 7,5 Liter / 100 Kilometer durch die Vergaserbatterie und notiert:“ nimmt bei hohen Drehzahlen nur verzögert Gas an.“ Dann kommt der Schnee. Und eine harte Zeit für die Fazer. Nur 300 Kilometer in einem Monat. Tieftraurig läuft sie, wenn überhaupt, nur auf 2 Zylindern. Testredakteur Jörg Schüller spielt Onkel Doktor und beseitigt ihren Unwillen. Ständiges Fahren mit Choke hat die Zündkerzen zugerotz. Hinzu kommt noch eine verstopfte Tankentlüftung. Einmal kurz blasen, vier blanke Funker – und alles wieder klar.

Auch Reiseprofi Michael Schröder, BMW-Fan der ersten Stunde, kommt aus dem Schwärmen kaum noch raus: Garagenfrei parkt er die Yamaha neben seiner Monster-Kuh und erlebt bei täglichen Minusgraden ein Schnurren auf den ersten Knopfdruck. His BMW is not amused.

Die Korken knallen, die Welt schlingert ins neue Jahrtausend. Genau wie die Fazer. Ein defektes Radlager vorn verhilft  bei Kilometerstand 49599 zum ersten außerplanmäßigen Werkstattbesuch. Noch schnell einen neuen Reifen – Dunlop D207, was sonst – und auf in den Endspurt. Den legt MOTORRAD-Trainee Rolf Henniges Mitte Januar ein. Klettert mit dem Dauerläufer über die Alpen und umkreist den Golf von Neapel. Am 20. Januar stehen beide wieder in der Tiefgarage. Die Fazer mit vollen Kilometer-Konto und ungleich gelängter Kette, Henniges mit steif gefrorenen Händen. Der Kälteteufel kennt kein Erbarmen.

MOTORRAD auch nicht. Jetzt ist Schlachtfest angesagt. Diplomingenieur Christian Vetter macht vorher noch die Abschlussmessung: In allen Durchzugs- und Beschleunigungswerten liegt die FZS nach 50 000 Kilometern vor denen der Eingangsmessung. Bravo. Die salzigen Zähne zweier Winterhaben zwar versucht, am Chassis zu nagen, doch die Lackierung war stärker. Außer ein paar Kratzer am Tank – könnt ihr Rucksäcke nicht vorsichtiger abnehmen? - gib es fast nicht zu beanstanden. Und der Motor? Von deutlichen Kompressionsverlust aufgrund undichter Ventile des ersten Zylinders abgesehen, gibt es nichts zu beanstanden. Und seien Sie versichert MOTORRAD-Techniker sind Erbsenzähler. Schwäbische noch dazu.

Zerlegt kommt die Yamaha noch einmal zu Ehren. Zwar nur im Glassarg, aber immerhin. Auf der Münchener IMOT am Stand von MOTORRAD schieben sich Tausende an ihr vorbei, sind erstaunt, wissbegierig, überrascht. Nein die Langstreckentest-Maschinen von MOTTORAD sind nicht gesponsert. Sie werden anonym gekauft, danach gegen Manipulation verplombt, und müssen sich im harten Einsatz bewähren. Unabhängig von Jahreszeit und Wetter.

17 Monate Treue. Niemand hat sie im Stich gelassen. Und jeder, aber wirklich jeder, war vom Handling und ihrer gnadenlos einfachen Art schlichtweg begeistert: Die kühle Blonde hinterlässt eine Lücke im Testfuhrpark, die so schnell nicht zu schließen ist. Trotz ihrer Eigenarten. Dem bonsaiischen Tankeinfüllstutzen, der das Volltanken zur Zeremonie werden lässt, den harten Geräuschen aus der Schaltzentrale, den hektischen Ausschlägen der Kraftstoffanzeige beim Beschleunigen, der druckstellenfördernder Tankform und dem wehleidigen Reagieren der Ölkontrollleuchte. Wehleidig? Ja, wehleidig: Kaum fehlen mal 0,2 Liter, fängt das Ding bei Bergauffahrt an zu leuchten.

Doch der Abschied ist nicht für immer. Gottlob gibt es ja Dichtsätze. Ruck-Zuck ist der Motor wieder zusammen und die Fazer wieder auf der Straße. Wie der Rest ihre knapp 7000 zugelassenen Schwestern. Alles Geheimwaffen.

ã „MOTORRAD“ Ausgabe 06/2000